„Ausruhen auf Corona - das geht nicht"

„Ausruhen auf Corona - das geht nicht"

Eberbach. Corona hat alles verändert. Auch für Lehrerin Birgitta Winzenried, die seit 2001 an der Eberbacher Realschule tätig ist und sich seit 2003 mit vollem Elan um die "Berufsorientierung" kümmert. Mit Unterstützung der ehemaligen Rektorin Regine Sattler-Streitberg wurde der Bereich aufgebaut. Doch auch wenn derzeit fast sämtliche "Vor-Ort-Termine" wie Betriebserkundungen oder Praktika ausfallen und fast alles online läuft, es gibt sie noch, die Ausbildungsplätze. Und zwar genügend. Nur sind laut Winzenried die Schüler mehr gefordert und auch die Unterstützung der Eltern ist mehr gefragt denn je. Voraussichtlich entscheiden sich in diesem Jahr noch mehr Schüler als sonst, nach der Mittleren Reife mit der Schule weiterzumachen. Das kann fatale Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Derzeit gibt es an der Eberbacher Realschule drei Klassen Zehntklässler mit insgesamt 72 Schülern.

 

Winzenried hält regelmäßig Kontakt zu den Firmen der Region, klärt den Status und eruiert die Möglichkeiten von Aktivitäten vor Ort. Das letzte Praktikum für Neuntklässler war im Oktober 2019, frühestens nachgeholt werden können die Praktika nach der neuesten Corona-Verordnung im Herbst dieses Jahres. Das heißt, der Jahrgang hat kein Praktikum gemacht."Es wurde mehrfach verschoben und wird auch nicht, wie gehofft und organisiert, im kommenden Mai stattfinden dürfen. Auch die zweite Profilwoche zur Berufsorientierung fiel bereits im März 2020 aus".

Doch seit dem Lockdown gibt es unterschiedliche Online-Angebote, beispielsweise auch Jobmessen. Alle Infos, die bei der Schule, beziehungsweise bei der Berufsorientierungsbeauftragten einlaufen, werden an "alle Schüler, Eltern und Lehrer kommuniziert". Laut Winzenried sind dabei die "kurzen, schnellen und jederzeit nachlesbaren Wege" von großem Vorteil. Differenziert wird dabei nach Klassenstufen: "Die zehnten Klassen erhalten Jobangebote und Infos über Jobbörsen beziehungsweise Angebote der Kammern (IHK/HWK), die Klassen neun werden ebenfalls über Jobmessen, Praktikumsstellen oder Tools zur Organisation eines Praktikums informiert." Die achten Klassen lernen die "Basisinfos" zu den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit und ihre zuständige Berufsberaterin kennen.

Winzenried arbeitet eng mit der Berufsberaterin zusammen. Neunt- und Zehnklässler haben "feste Berufsorientierungsstunden"; bis November 2020 über "persönliche Gespräche, seither online". Derzeit laufen "zehn- bis 15-minütige Kurzgespräche" mit allen Abgangsschülern per Telefon. Wer noch nicht "versorgt" ist, wird so erfasst und enger begleitet. Bislang ergab sich der Trend, dass die meisten Zehntklässler eine weiterführende Schule besuchen wollen. Im vergangenen Jahr waren es 57 Prozent, die auf eine weiterführende Schule gewechselt haben, so in etwa lag der Prozentsatz auch in den Jahren zuvor. Sollte dieser Trend sich nun weiter durchsetzen, würden laut Winzenried viele Stellen in Betrieben nicht besetzt werden können und die Betriebe hätten in den nächsten Jahren einen großen Nachholbedarf. "Man erwartet einen Einbruch auf dem Lehrstellenmarkt von 9,4 Prozent – eine nie da gewesene Zahl."

Bei dem geringen Anteil an Schülern, die eine Ausbildung beginnen möchten, handelt es sich laut der Berufsberatung besonders um Schüler, die "Online-müde" sind und mit dem "Format" nicht so gut klarkommen. "Sie möchten eine Ausbildung beginnen und auf keinen Fall weiter zur Schule gehen." Meist haben diese Schüler aber schon ein Praktikum gemacht und wissen "in welche Richtung es gehen soll". Winzenried: "Da ist das Engagement der Schüler, sich selbst zu bewerben und zu informieren, hoch". Die Mehrheit der Schüler, die weiter zur Schule gehen will, setzt sich "teils wenig mit Online-Angeboten, wie etwa Messen, auseinander. "Berufsorientierung ist bisher wenig Thema, sie schieben es auf, bis sich die Zeit wieder normalisiert". Deshalb, so Winzenried, sind aktuell noch viele Ausbildungsplätze für dieses Jahr offen, alle Jugendlichen haben noch gute Chancen einen Platz zu finden. Die Gefahren liegen nun darin, "dass Schüler zu lange warten, davon ausgehen, dass nächstes Jahr alles wieder normal ist und sie sich bis dahin nicht rechtzeitig mit sich und ihren beruflichen Vorstellungen beschäftigen".

Aus Rückmeldungen der Betriebe weiß Winzenried, dass viel Wert auf das Engagement der Bewerber gelegt wird. "Haben sie sich informiert; wissen sie, was in dem Beruf auf sie zukommt, womit sich das Unternehmen beschäftigt und welche Berufsschule zuständig ist. Die Betriebe haben zwar Mangel, besetzen Stellen aber eher nicht, bevor sie jemanden mit einer schlechten Bewerbung einstellen." Da viele "08/15-Bewerbungen" verschickt werden, ist – das betonen laut Winzenried auch Vertreter der Bundesagentur für Arbeit – der empfohlene Weg: "Mühe geben bei den Bewerbungen, den kurzen Weg suchen, direkt bei Betrieben nachfragen oder eine Initiativbewerbung schicken". Auch in der App "AzubiWelt" oder in der "Jobbörse" können offene Ausbildungsplätze gefunden werden. Und auch vor Ort in der Schule weiß man, dass die meisten Betriebe, die eine Ausbildung anbieten, derzeit auch ein Praktikum ermöglichen. "Nachfragen lohnt sich." Zudem könnten sich die Schüler über "Berufe TV" Videos über Ausbildungen anschauen.

Winzenried betont: "Die Schüler müssen Eigeninitiative zeigen, sich informieren und Online-Angebote filtern und nutzen." Auch dürfen sich die Schüler nicht abschrecken lassen, denn die Verhältnisse sind in jeder Branche anders: "Während etwa die Hotelgaststättenbranche derzeit nur schwer einstellen kann, wird im Handwerk- oder Metallbereich dringend gesucht".

Eine sehr wichtige Rolle spielen zurzeit die Eltern: "Sie müssen unterstützen, die Angebote, die die Kinder geschickt bekommen, mit durchschauen und mit den Kindern besprechen. Sie sollten die Kinder ermutigen und auch Kontakte in der Familie oder im Bekanntenkreis nutzen und Beratungsangebote der Berufsagentur in Anspruch nehmen." Schüler, die keine Unterstützung von den Eltern haben, sind im Nachteil. Auch wenn viele Eltern sich derzeit in einer schwierigen Situation befinden, "das heranwachsende Kind zu begleiten, muss Priorität haben". Eltern haben eine Vorbildfunktion: "Wenn sie während Corona die Einstellung haben, es bringt nichts, sich mit der Berufsorientierung auseinanderzusetzen und Bewerbungen zu schreiben, werden die Kinder das so übernehmen."

Für den Umgang mit den digitalen Medien rät Winzenried: "Sich nicht abschrecken lassen, sondern wertschätzen, dass es so vieles gibt. Filtern, was relevant ist. Dafür ist eine vorherige Überlegung mit dem Kind wichtig, in welche Richtung es gehen soll. Digitale Angebote können vieles erleichtern. Man kann alles zu Hause durchschauen, es gibt vielfältige Angebote. Zudem können Fragen auch über Chat gestellt werden und gehen somit nicht verloren." Einige haben laut der BORS-Beauftragten die Situation erkannt. "Man darf die Dinge nicht auf die lange Bank schieben, sonst entsteht eine Spirale aus Frust und Angst. Ausruhen auf Corona oder Corona als Entschuldigung für alles – das geht nicht. Es ist sehr wichtig, das Positive zu sehen und mit der Situation umzugehen."

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