Dienstag, 11 November 2014 15:23

Rumänienfahrt

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Eberbach – Pretai und zurück...

 

 

Ein Reisebericht von Schülerinnen und Schülern der 8. und 9. Klassen der Realschule Eberbach

Juli 2014

 

Erste Eindrücke

 

Mit Kleinbussen fahren wir vom Flughafen ins Zentrum von Sibiu. Außer der Sprache erinnert uns zunächst einmal gar nicht viel daran, dass wir in einem fremden Land sind. Die Straßen von Sibiu sind sauber, die Häuser sind in gutem Zustand, es gibt eine Einkaufsstraße mit Schaufenstern und viele Touristen.

Die Krone ist erreicht...

Alt und neu dicht beeinander. Blick über die Dächer von Sibiu

Die großen Gebäude in Sibiu sind in sehr gutem Zustand und ähneln denen einer deutschen Stadt. An jeder Ecke findet man entweder einen kleinen Eisstand oder eine Wechselstube, in der wir unser deutsches Geld in rumänisches umtauschen können. An der Wechselstube tauschen wir unsere Euros in Lei um. Wir laufen durch die saubere Fußgängerzone und wir finden, dass die Stadt so wirkt, als ob es ihren Bewohnerinnen und Bewohnern gut geht, aber dennoch sind die Supermärkte sehr teuer.

Sobald wir das Stadtzentrum verlassen, um zum Bahnhof zu gehen, ändert sich aber das Bild. Von vielen Häusern bröckelt der Putz. Hinter den mittelalterlichen Häusern ragen die Betonwände vonBahnhof, Markthallen und mehrstöckigen Plattenbauten auf. Am Straßenrand liegt Abfall. Wir besteigen den Bummelzug, der über die Dörfer nach Medias fährt.

Die Bahn fährt langsam und schnaufend durch Ebenen und grüne Täler. Hier und da steht eine graue Fabrikruine, einen Kilometer weiter sieht man schon wieder nur große Schafherden auf grünen Wiesen.

Es ist heiß,   die Kunststoffpolster kleben und es riecht nach Gummi und Schweiß. Überhaupt wirkt der Zug ziemlich verwahrlost. Die Toiletten sollte man, wenn man irgendeine Möglichkeit hat, lieber meiden. Die Fenster, die sich öffnen lassen, stehen offen, ebenso die Türen. Mutige lassen sich den Fahrtwind um die Nase wehen. In Copsa Mica bleibt der Zug plötzlich stehen. Auf der maroden Strecke, an der überall gebaut wird, muss erst der Schnellzug nach Bukarest vorbeigelassen werden.

Aber der Schaffner singt lauthals fröhliche Lieder, während er an den Abteilen vorbeigeht, um die nächste Verspätung zu verkünden. Obwohl wir müde und durstig sind, fällt es schwer, nicht mitzulachen.

 

Pretai

 

Schließlich kommen wir doch noch in Pretai an – auf dem Straßenschild steht allerdings 'Brateiu' – das ist der rumänische Name für das Dorf, dasfür die nächsten sieben Tage unser Wohnort sein wird.  Bei unserer Ankunft werden wir von Rosi herzlich begrüßt. Rosi ist unsere Gastmutter und sie hat für unsere Ankunft ein leckeres Essen vorbereitet. Rosi spricht deutsch, aber sie persönlich sagt, sie ist kein Deutsche, sondern Siebenbürger Sächsin. Herr Csaszkóczy hat uns erzählt, dass die Sachsen eine deutschsprachigen Minderheit in Rumänien sind, die vor vielen Jahrhunderten nach Transsylvanien ausgewandert sind. Damals hatten sie viele  Vorrechte gegenüber den anderen Bewohnern des Landes. So durften sie zum Beispiel Städte gründen, die unabhängig von den Fürsten waren und ihre rechtlichen Angelegenheiten selbst regeln. Rosi erzählt uns, das schon seit Ende der siebziger Jahre viele Sachsen nach Deutschland ausgewandert sind. Als die Mauer 1989 fiel, ist dann auch der größte Teil der gebliebenen Sachsen gegangen. In den Städten gibt es noch sächsische Gemeinden, auch Buchläden und Schulen findet man dort noch. Die Schulen jedoch werden kaum noch von Kindern mit sächsischem Elternhaus besucht. Rumänische Eltern hoffen dort auf eine bessere Ausbildung ihrer Kinder. In Pretai selbst noch 26 Häuser von Sachsen bewohnt (die meisten von ihnen sind schon älter). Die Häuser im Dorf sind in vielen verschiedenen Farben gestrichen, so wirken die Straßen viel bunter. Wir selbst sind im ehemaligen Pfarrhaus von Pretai untergebracht, es liegt neben der Kirchenburg direkt am Dorfplatz.

Unsere Zimmer sind gemütlich eingerichtet und vom Platz her großzügig.

 

Ein Wunderwerk technischer Improvisation: Rosis Traktor

 

Auf dem Dorfplatz spielen wir mit einheimischen Kindern Fußball, die Verständigung mit ihnen klappt auch ohne viele Worte. Der Hof unserer Gastmutter Rosi und ihrer Familie liegt gegenüber. Davor steht der alte Traktor ihres Mannes, der aus vielen Ersatzteilen verschiedener Marken zusammen gebaut ist. An der Seite sind selbstgebastelte Halterungen für verschiedenes Arbeitszubehör angebracht. Im Innenhof des Hauses gibt es eine überdachte Weinlaube in der wir von Rosi üppig und lecker bekocht werrden, alles ist familiär und gemütlich. Später in der Woche kommt einmal ein Mann mit einer großen Sau, die während wir am Tisch sitzen, zum Stall getrieben wird. Rosi hat einen begehrten Zuchteber. 

 

Die letzten Sachsen von Pretai

 

Höfe wie Rosis gibt es einige in Pretai. Rosi erklärt uns, wie ein typisch sächsischer Hof aufgebaut ist: „ Die Frontseite wird gebildet von einem Holztor, das Wohnhaus ist ein längliches Gebäude, das sich nach hinten zieht und mit der Mauer vom Nachbarhaus einen langgezogenen Innenhof bildet. Am Ende des Hofes stehen Stall und Scheune, dahinter gibt es Gärten und Pferche. Die meisten Höfe sind seit der Auswanderung der Sachsen in Besitz von Rumänen und Roma.

Autos sieht man in Pretai nur wenige und wenn dann nur auf der Durchgangsstraße, meistens fahren dort Pferdewagen und Traktoren. An einem Ende des Dorfplatzes erhebt sich eine Kirchenburg mit einer hoch aufragenden Backsteinmauer. Die Kirchenburg von Pretai hat zwei Türme: Der Kirchturm ist mit einem hölzernen Wehrgang ausgebaut, in der Mauer erhebt sich der wuchtige Speckturm. Im Speckturm wurde im Mittelalter der Speck und andere Lebensmittel gelagert – auch für den Fall einer Belagerung. Wie die anderen Kirchenburgen in Siebenbürgen auch (wir werden fast in jedem Dorf auf eine stoßen) wurde sie vor über 600 Jahren gebaut. Das Land lag genau zwischen dem Einflussbereich des Islams und dem des Christentums. Die Bewohner der Dörfer mussten immer mit Überfällen durch Osmanen und Tartaren rechnen – deshalb musste die Kirche für alle Einwohner Zuflucht und Schutz bieten – eine Mischung aus Kirche und Burg eben. Im Innern gibt es ein 600 Jahre altes Taufbecken und Wandmalereien, die die Jahrhunderte erstaunlich gut überdauert haben.

Die Kirchenburg von Bierthälm.

Zeichnung von Emilie Kuchar (8.Klasse)

Rosi erzählt uns, dass es mittlerweile für die Gemeinden im Umkreis von ca. 150 Kilometer nur noch vier Pfarrer gibt. Das ist einer der Gründe warum in der Kirchenburg nur zwei mal im Monat Gottesdienst gefeiert wird. Ohnehin sind es nicht mehr viele, die zum Gottesdienst kommen. Der Gottesdienst wird schon seit langem nur noch in der Sakristei gefeiert, so wirkt die Gemeinde in der großen Kirche nicht so verloren. 

 

Während unserer Zeit in Pretai ist gerade Erntezeit, es fahren überall große Pferdekutschen, die über und über mit Heu und Stroh beladen sind. Alles wirkt wie aus einer anderen Zeit, auch Stress und Hektik scheinen hier Fremdwörter zu sein. Am Straßenrand taucht nach einigen Tagen ein kleines Zweimannzelt auf, dort schläft eine Frau mit ihren Kindern, ein kleines Kind das gerade gestillt wird, ein 8 jähriger Junge und ein junges Mädchen von vielleicht 16 Jahren. Sie verkaufen dort Melonen und Kartoffeln, gelegentlich kommt ein Lieferwagen mit neuem Obst und Gemüse vorbei. Sie wollen den ganzen Sommer im Dorf bleiben. Rosi sagt, dass das sehr gut für das Dorf ist. Längst nicht alle Einwohner schaffen es, regelmäßig in die nahe gelegene Stadt zum Markt zu fahren.

 

Arbeitseinsatz auf dem sächsischen Friedhof

 

Dann gibt es da noch den sächsischen Friedhof von Pretai, für dessen Pflege Rosi zuständig ist. In der Zeit,in der wir hier sind, wollen wir an zwei Tagen Rosi bei der Friedhofspflege helfen. Große Teile des Friedhofs sind zugewuchert, als erstes schneiden wir die Allee wieder frei vom Gestrüpp. Die Äste hängen von den Bäumen wie Lianen, auch diese werden gekürzt. Überall wächst Gras, Rosis Familie hilft uns mit den Sensen, Rasenmäher gibt es nicht. Die Wege auf dem Friedhof sind aus Erde, nicht geteert oder mit Kies bestreut wie bei uns. Auf den Gräbern werden kaum noch schöne Blumen gepflanzt, da nur noch wenige Familien da sind, die sich um sie kümmern könnten. Die Grabsteine sind zum Teil sehr alt. Auf den Grabsteinen selbst kann man typisch deutsche Namen lesen wie z.B. Müller. Oft stehen interessanterweise Berufsbezeichnungen auf den Grabsteinen wie z.B. Gerbermeister, Postbote oder Regierungsrat. Am nächsten Tag sagt ein Nachbar Rosi, dass der Friedhof seit 30 Jahren nicht mehr so schön ausgesehen habe. Wir sind mächtig stolz über dieses Lob.

 

Kronenfest in Frauendorf

 

Am Sonntag ist Peter- und Pauls-Tag und in Frauendorf wird das Kronenfest gefeiert. Ein Bus holt uns ab. Er hat in den umliegenden Dörfern Siebenbürger Sachsen aufgesammelt, die auch an der Feier teilhaben möchten. Der Bus ist daher fast voll besetzt und die Luft ist stickig und warm, da es schon am Vormittag sehr heiß geworden ist. Der Großteil der anreisenden Sachsen ist schon älter, es sind nur wenige junge Leute darunter und viele unterhalten sich in ihrer Muttersprache auf sächsisch. Auch wenn wir aufmerksam zuhören, verstehen wir kaum ein Wort. Das Siebenbürger Sächsisch war über Jahrhunderte von der Entwicklung der übrigen deutschen Sprache abgeschnitten. Deshalb klingt es ein wenig so, wie das Deutsche vor 500 Jahren vielleicht geklungen haben könnte. In Frauendorf angekommen sind es schließlich an die hundert Personen, die sich im Innenhof der Kirchenburg zusammenfinden. Einige tragen bunte Trachten, aber es sind rumänische Trachten, die die Bewohner von Frauendorf sich angezogen haben, um mit ihren sächsischen Nachbarinnen und Nachbarn das Kronenfest zu feiern. Im Innenhof sind Bierbänke aufgestellt, auch Kaffee und Kuchen wird gereicht. Um den Tag zu feiern wird ein Gottesdienst abgehalten. Dieser findet immer abwechselnd in kleinen Abschnitten auf deutsch und rumänisch statt, damit alle dem Geschehen folgen können. Während des Gottesdienstes fällt uns auf, dass einige sich sehr oft bekreuzigen. Unser Lehrer erklärt uns später, dass das wohl Mitglieder der orthodoxen Kirche sind. In orthodoxen Gottesdiensten funktioniert viel mehr über festgelegte Rituale und Bewegungen. Außerdem finden wir es seltsam und ungewohnt, dass die Bänke keine Rückenlehnen haben. Nach dem Gottesdienst begeben wir uns wieder auf den Kirchenhof. Dort fangen nun, nachdem alle draußen sind, die Festtraditionen an. Eine Tanzgruppe mit bunten außergewöhnlichen Kleidern tanzt um einen geschmückten Baumstamm herum. Viele verschiedene Tänze präsentieren sie den gut gelaunten Zuschauern. Danach klettert einer der jungen Tänzer den Pfahl hinauf, um den Wein und die Süßigkeiten, die dort hängen, herunter zu holen und die Leckereien in die Menge zu werfen. Damit ist das Fest nun eröffnet. Die Jugendlichen aus der Trachtengruppe fordern uns zum Mittanzen auf, doch wir trauen uns nicht und ziehen uns lieber unauffällig zurück. Es sind sächsische Trachten, die die Jugendlichen tragen, sie kommen alle von der deutschen Schule in Sighisoara, das von den Sachsen Schäßburg genannt wird. Bis auf einen Jungen hat aber keiner von ihnen sächsischstämmige Eltern. Selbst in größeren Städten wie Schäßburg gehört das Gemeindeleben der Siebenbürger Sachsen wohl endgültig der Vergangenheit an. Mit der Zeit kommt der Duft vom gegrillten Fleisch immer näher zu uns. Es gibt Mititei, das sind gegrillte Würste mit Rind-, Schaf-, und Schweinefleisch. Dazu noch Weißbrot und Senf. Nach einer weiteren Tanzeinlage, bei der ein langes Rundholz mit  bunten Fäden umwickelt wird, dürfen wir uns etwas zu essen holen. In der Zeit spielen zwei Männer Akkordeon und Geige im Duo auf dem Kirchenhof. Auch unser Lehrer, Herr Caszkóczy, spielt mit seiner Drehleiter etwas vor. Auf dem Fest können wir nicht nur rumänische Musik genießen, sondern auch sächsische und deutsche Lieder. Wir lassen uns ein sächsisches Lied übersetzen, um die traditionellen Musikstücke besser zu verstehen. Eine rumänische Gesangsgruppe trägt noch zur Festfreude bei. Ein älterer Sachse erzählt uns auf unsere Nachfrage etwas über seine Lebensverhältnisse. Er berichtet uns, er sei nach der Wende 1989 ausgewandert, aber wieder zurückgekehrt. Das Leben in Rumänien gefalle ihm viel besser, obwohl es dort sehr viel härter und schwieriger sei. Mit der Hektik und der Anonymität in Deutschland sei er damals nicht klargekommen. Er erzählt uns, dass sein Arbeitslosengeld heute im Monat 220 Lei beträgt, das sind ungefähr 50 Euro. Wir wissen nicht wie man davon leben kann, da die Preise im Laden fast genau so wie bei uns sind. Er erklärt uns, dass er Imker ist und  Honig an Bekannte verkauft, um über die Runden zu kommen. Rosi erzählt uns, dass das Kronenfest erst wieder seit vier Jahren gefeiert wird. Früher war dabei Vieles ganz anders, zum Beispiel war der Mast viel höher und mit Wachs eingerieben, also eine richtige Herausforderung! Außerdem wurde damals die ganze Nacht durchgetanzt. Heute fahren wir nach ein paar Stunden nachmittags wieder mit dem Bus zurück.

 

Bummel durch Mediasch

 

Heute ist der Tag der Fußball-WM, an dem Deutschland gegen Frankreich spielt, und wir sind schon ganz aufgeregt. Aber erst einmal heißt es für uns nach Medias auf den Markt fahren und Kirchen besichtigen. Am Bahnsteig, sind wir zunächst überrascht, dass es weder ein Bahnhofsgebäude noch einen Fahrkartenschalter gibt, auch von Sicherheitsvorkehrungen ist keine Spur.  Als Bahnsteig dienen lediglich spärliche Betonplatten.  Da die Bahnstrecke erneuert wird, müssen wir sehr lange auf den Zug warten. Bewohner von Pretai erzählen uns lachend, dass ein Zug, der in Rumänien eine Stunde später kommt, noch als pünktlich durchgeht. In der Zeit, in der wir warten, machen wir es uns auf dem Bahnsteig gemütlich. Als wir gerade alle in der Sonne liegen, kommt ein betrunkener Mann, der die ganze Zeit vor sich hin zetert. Wenige Zeit später kommt dann noch eine Roma Familie. Die Mutter, die hoch schwanger ist, raucht zu unserem Entsetzen eine Zigarette nach der anderen. Die Kinder der Familie fangen an, um ein paar Lei zu betteln, sie wollen aber auch einfach mit uns schmusen. Wir haben fast den Eindruck, als würde das Betteln den Kindern Spaß machen.
Der Zug kommt und wir steigen alle ein. Im Zug ist es noch heißer als draußen und die schwüle Hitze ist furchtbar drückend. Alle suchen nach einen Abteil, in dem man das alte Schiebefenster öffnen kann, so dass man etwas frischen Fahrtwind abbekommt. Der gut gelaunte Schaffner kassiert weniger Geld als die Fahrt kosten würde, stellt uns aber auch keine Fahrscheine aus. Herr Csaszkóczy erklärt uns, dass der Schaffner das Geld vermutlich „schwarz“ als Gehaltsaufbesserung behalten will, da dieses nur sehr gering ist. Wir fahren an Industriegebieten vorbei, bevor wir in das Stadtzentrum kommen.
 

Durch die Ringmauer in die Kirchenburg von Mediasch

In der Stadt fällt uns auf, dass so gut wie kein Laden ein Schaufenster hat und man oft nur an einem Schild erkennen kann, dass sich im Inneren ein Geschäft befindet. Wie in Sibiu auch, gibt es in Medias eine Synagoge, sie ist ziemlich zerfallen und wird als Lagerhalle benutzt. Seit die Deutschen gemeinsam mit den rumänischen Faschisten die jüdische Bevölkerung vertrieben und ermordet haben, gibt es in Rumänien fast nirgends mehr eine jüdische Gemeinde. Wie in jedem Ort auch gibt es hier viele Kioske, Apotheken und Tante-Emma-Lädchen. Wir sehen hier viele Kinder und Erwachsene, die betteln und arm sind. Viele Leute laufen mit deutsch bedruckten T-Shirts herum. Das kommt auch daher, dass deutsche Kleiderspenden oftmals in Rumänien landen.
Medias ist nicht so wohlhabend und herausgeputzt wie das Stadtzentrum von Sibiu. Nah bei der großen Kirchenburg in der Stadtmitte ist der Markt.

Der Markt in Medias ist sehr groß, so einen großen Markt haben wir noch selten in Deutschland gesehen. Auf dem Markt sind viele Leute unterwegs, obwohl es schon Mittag ist und die Haupteinkaufszeit vorbei. Es gibt zwei große Markthallen in denen ausschließlich Gemüse verkauft wird. Um die Markthallen außen herum stehen Obststände auf denen es schönes frisches Obst gibt.
Die Kleidung der Menschen auf dem Markt ist entweder für unsere Verhältnisse sehr ärmlich oder traditionell, deshalb fallen wir mit unseren H&M-T-Shirts auf.
Hinter den Obstständen sehen wir Roma, die ihre selbst hergestellten Waren wie z.B. Löffel und Körbe, aber auch im Wald gesammelte Beeren und Pilze verkaufen. Nicht weit entfernt vom Marktplatz gibt es auch einen Supermarkt. Die Preise sind deutlich teurer als auf dem Markt. Am Eingang stehen uniformierte Wachleute, die auch aufmerksam durch die Gänge patroullieren.
 

Besuch im Cortorar-Viertel von Pretai

 

Auch in Rumänien – das haben wir schon mitbekommen - gibt es viele Menschen, die schlecht über „Zigeuner“ reden und die viele Vorurteile haben. Die Roma selbst empfinden das Wort „Zigeuner“ meist als Schimpfwort und möchten nicht damit bezeichnet werden.  In Pretai nennen die meisten sich „Cortorar-Roma“. Übersetzt heißt 'Cortorari' Zeltleute . Dieser Begriff kommt daher, dass ihre Urgroßeltern noch in Zelten an dem Ufer der Kokel gelebt hatten. Sie sind sehr stolz darauf, ihre Traditionen zu pflegen. Das tun nicht alle Roma, auch nicht in Pretai. Außerhalb des Cortorar-Viertels trägt kaum ein Rom Tracht.

 

Cortorari bei der Arbeit am Straßenrand

Heute wollen wir bei einer traditionellen Roma-Familie vorbeischauen. Sie wohnt nicht weit von der Kirchenburg an der Landstraße Richtung Medias. Die „Hauptstraße“ im Viertel ist nicht geteert sondern besteht aus festgestampfter Erde. Am Straßenrand sitzen ältere männliche Roma, die genüsslich ihre Pfeifen rauchen. Manche begrüßten uns freundlich, doch einige beobachten uns auch sehr misstrauisch. Alle Cortorari tragen Trachten. Sie wirken sehr stolz mit ihren großen schwarzen Hüten und die Frauen mit ihren bunten Röcken und Kopftüchern.

 

Viele Cortorari wohnen  in „Palästen“ mit glänzenden Metalldächern, Säulen und Torbögen, sie erinnern uns an Paläste aus alten chinesischen Filmen. Rosi erzählt, dass die Cortorari erst vor einigen Jahren begonnen hätten solche Villen zu bauen. Manche von ihnen werden gebaut, aber oft nicht fertiggestellt.  In vielen „Palästen“ lebt nur eine einzige  Familie, oft sind sie aber auch gar nicht wirklich bewohnt und die Familie lebt nur in zwei Zimmern oder einer kleinen Hütte neben dem großen Haus. Es gibt fast einen „Wettbewerb“ unter den Bewohnern wer den größten „Palast“ hat.

 

Herr Csaszkóczy begrüßt  die Familie von Emil, dem Hausherrn, mit einem Satz auf Romani, was die Familie sehr erstaunt. Herr Csaszkóczy verrät uns später, dass das auch der einzige Satz auf Romani ist, den er kann. Er hat uns schon erklärt, dass Romani die Sprache der Roma ist. Ursprünglich stammt das Volk aus Nordindien, daher ist die Sprache mit dem indischen Sanskrit verwandt. Emil und seine Familie bieten Kupferwaren, zum Beispiel Kessel zum Schnapsbrennen, Pfannen und Töpfe, am Straßenrand an. Das ist der Broterwerb vieler Cortorari, überall im Viertel hört man das Hämmern der Kupferschmiede. Die Verkäufer bieten ihre Waren meist erst sehr teuer an, aber sie gehen mit dem Preis oft mehr als um die Hälfte herunter, wenn man lange genug handelt. Rosi meint, der Kesselverkauf bringt nicht viel Geld: „Die Dorfbewohner selbst haben schon alles, Touristen kommen nur wenige hierher und kaufen dann vielleicht mal eine Mokkakanne. Davon kann man nicht leben.“

 

Als es anfängt zu regnen werden wir ins Haus eingeladen.  An der Wand hängen viele Teppiche, bunte Heiligenbildchen, Vitrinen mit bemalten Porzellantellern und bunten Tontellern. Der Boden ist mit Teppichen ausgelegt.  In dem Haus leben zwei Familien die nur zwei Räume mit jeweils einer großen Liege zur Verfügung haben. Sonst gibt es nur wenige Möbel. Die Familie bietet uns an, ihre wertvollen Trachten anzuprobieren, was eine sehr große Ehre für uns „Gadjos“ (so nennen die Roma Menschen, die nicht zu ihrer Volksgruppe gehören) ist. Die Frauen aus Emils Familie holen die Kleidungsstücken aus verschiedenen Schränken raus. Emils Frau erklärt uns: „Frauen-und Männerkleidung muss in getrennten Schränken aufbewahrt werden, auch muss sie getrennt gewaschen werden, da dies die Tradition so will.“ Die kleinen Roma-Mädchen tragen Zöpfe mit bunten Bändern, verheiratete Frauen verbergen ihr Haar unter einem Kopftuch, „weil Jesus Mutter auch so ein Kopftuch getragen hat“, wie uns Emils Frau erklärt.  Selina und Celine bekommen bunte Röcke, die aus zwei Schürzen  bestehen, angezogen. Natürlich bekommen sie auch die passenden Blusen und Kopftüchern dazu. Max und Jan werden weiße Hemden und braune Hosen angezogen. Natürlich dürfen die schwarzen großen Hüte und die breiten Ledergürtel nicht fehlen. Die Roma-Familie hat offensichtlich sehr viel Spaß dabei, uns zu „verkleiden“.

 

Ein paar Straßen weiter wird gerade eine Hochzeit gefeiert. Emil sagt uns, dass in traditionellen Roma-Familien die Kinder oft schon mit 12 Jahren einander versprochen werden. Die Hochzeitfeste bei den Roma sind sehr aufwändig und auch sehr teuer, sie können ganze Jahresgehälter verschlingen. Es wird aber auch erwartet, dass die vielen Gäste mit Geld oder wertvollen Geschenke kommen, und das Geld so dann wieder rein kommt. Rosi erzählt uns, dass die Hochzeitfeste manchmal eine ganze Woche gehen können.  Das erklärt auch, warum wir vom altem Pfarrhaus seid mehreren Tagen laute, quäkende rumänische Tanzmusik aus dem Cortora-Viertel herüberschallen hören. Über die nicht traditionell lebenden Roma hat Emil keine all zu gute Meinung. „Sie vergessen ihre Kultur, sprechen ihre eigene Sprache nicht mehr. Sie haben keine Vergangenheit und deshalb auch keine Zukunft.“, sagt er. Immerhin gibt es mittlerweile seit einigen Jahren in Pretai eine Lehrerin, die die Roma-Kinder in ihrer eigenen Sprache unterrichtet.

 

Beim Hilfsprojekt 'Kinderbauernhof in Rusciori

 

Heute sind wir eingeladen, das Hilfsprojekt 'Kinderbauernhof' in Rusciori zu besuchen.

Philipp, ein ehemaliger Schüler der Realschule Eberbach macht dort ein Soziales Jahr. Er ist seit einem dreiviertel Jahr hier und spricht schon fast perfekt rumänisch. Er zeigt uns in einem kurzen Rundgang den Ort Rusciori und das Viertel, in dem die armen Roma-Familien leben.

 

Uns ist fällt sofort, dass die Häuser dort oft eigentlich nur Hütten und nur notdürftig zusammengeflickt sind sind. Bei den Häusern ist meist nur die vordere Wand verputzt und Geld für Fenster haben viele BewohnerInnen auch nicht; stattdessen hängen sie die Fenster mit Teppichen zu oder mauern sie gleich ganz zu. Die meisten Häuser dort sind nicht sehr groß, oft nicht größer als eine Gartenhütte, und dennoch leben dort viele Personen. In vielen Häusern ist der Boden mit vielen Teppichen ausgelegt.

Außerdem sind wir erstaunt, das selbst bei der reichsten Familie des Viertels die Wäsche noch mit der Hand gewaschen wird.

 

Keines der Häuser in diesem Viertel ist an ein Wassersystem angeschlossen, das Wasser müssen die Menschen aus einem Ziehbrunnen holen.

Straßenbild in Rusciori

Oft sind es bis zu zehn Häuser, die sich einen solch einen Brunnen teilen müssen. So wie sie dasWasser von den Brunnen holen, so leiten sie auch das Wasser ab. Das Abwassersystem liegt neben der Straße offen im Straßengraben – ein durchdringender unangenehmer Geruch liegt vor allem an heißen Tagen wie heute in der Luft. Sowie es kein Wassersystem gibt, gibt es auch keine Müllabfuhr, oft liegen Abfallhaufen einfach am Straßenrand. Im Viertel laufen sehr viele streunende Hunde herum. Fast an jedem Haus ist mindestens einer zu sehen. Nicht nur die Hunde laufen frei herum, sondern auch noch viele andere Tiere wie Katzen, Schweine und Pferde.

Im Dorf gibt es eine neue Schule, die jedoch – wie uns Phillip erzählt - seit fünf Jahren nicht benutzt wird wegen Unstimmigkeiten in der neuen Regierung.

Das größte Haus im Dorf steht leer. Ursprünglich sollte dort mal ein Kiosk einziehen.

 

Der 'Kinderbauernhof', auf dem Philipp arbeitet, ist eine Art  „Kindertagesstätte”, in der Kinder aus besonders bedürftigen Familien nach der Schule betreut werden. Das ist noch nicht lange so. Früher war er dafür gedacht, das die Stadtkinder aus den großen Städten sehen und lernen, wie das Leben auf dem Land ist. Dort lernten sie zum Beispiel, wie man die Tiere und das Land pflegt und Brot backt. Auch wir bekommen von Hermine, der Mitbegründerin des 'Kinderbauernhofs einen Brotbackkurs am Holzofen.

 

Es sind nur sehr wenige Kinder aus rumänischen Familien, die als so hilfebedürftig eingestuft werden, dass sie beim Kinderbauernhof aufgenommen werden – die meisten sind Roma. Romani spricht – anders als bei uns in Pretai – aber fast keiner von ihnen mehr. Trotzdem werden sie in vielerlei Hinsicht ausgegrenzt. In Rusciori ist es ohnehin schwer, eine Arbeit zu finden. Für Roma ist es – wie Philipp uns anhand einer Dorfstatistik zeigt – fast unmöglich. Ein eigener Friedhof für die Roma liegt abseits auf einem verwahrlosten Grundstück, obwohl die allermeisten Roma orthodoxe Christen sind. Philipp erzählt uns, dass es aber auch Fortschritte gibt: Zumindest offiziell werden zu Dorffesten zum Beispiel mittlerweile alle BewohnerInnen des Dorfes, unabhängig von ihrer Herkunft eingeladen.

 

Ganz wichtig: Zahnbürsten für viele, viele Kinder.

Die Kinder kommen sehr gerne auf den Kinderbauernhof, weil sie dort Mittagessen bekommen, sie bekommen Hilfe bei den Hausaufgaben, sie dürfen dort duschen und auf dem Spielplatz des Kinderbauernhofs spielen. Dort steht ein Trampolin, eine Schaukel und noch viele andere tolle Dinge. Bei den meisten Kindern gibt es all das nicht: Keinen geregelten Tagesablauf, keine regelmäßigen Mahlzeiten, kein Spielzeug, keine Dusche, niemanden der  auf Körperhygiene oder die Einhaltung von Regeln achtet. Offensichtlich vermissen die Kinder all diese Dinge, auch in den Ferien kommen viele von ihnen regelmäßig hierher.

 

Philipp sagt: „Das Ziel unserer Arbeit ist es, dass einige dieser Kinder es mit dem, was sie hier vermittelt bekommen,  schaffen können, aus dem Teufelskreis der Armut auszubrechen. So wie sie bisher leben, hätten sie diese Chance nie“. Der Kinderbauernhof finanziert sich ausschließlich aus Spenden und freiwilliger Arbeit, Fördergelder bekommt er nicht. Bereut hat Philipp es in keinem Moment, hier für ein Jahr freiwillig zu arbeiten. Auch er selbst habe, so sagt er, in seiner Zeit hier Dinge für sein späteres Leben gelernt, auf die er nicht verzichten möchte.

 

Auf Wiedersehen, Siebenbürgen!

 

Ob wir selbst vielleicht auch für ein ähnliches Projekt einmal länger nach Rumänien kommen? In jedem Fall haben wir ein Land kennengelernt, in dem Vieles vertraut und doch so ganz anders ist als bei uns zu Hause.

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