Wenn Schüler zu Lehrern werden

An der Realschule wechselten die MINT-Mentoren für zwei Stunden die Rollen und erklärten ihren Lehrern den Stoff


Eberbach (MB).
Ungewohntes Bild an der Realschule Eberbach: Zwölf Lehrkräfte sitzen im Chemiesaal und lauschen neugierig den elf Mentoren der AG für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) bei ihrem Vortrag über die Herstellung historischer Tinte. Der Perspektivwechsel kommt bei Jung und Alt sehr gut an und wird auch im nächsten Schuljahr fortgeführt.

Drei Schüler begrüßen die freiwillig anwesenden Lehrer und legen nicht nur schnell die anfängliche Nervosität ab, sondern beweisen auch Humor in der Ansprache. "Wir werden Sie nun unterrichten, nein, wir werden Sie qualifizieren" sorgt ebenso für Lacher wie die mit Augenzwinkern vorgetragene Warnung, man möge sich doch bitte das Wort "Parthenogenese" merken, das werde später abgefragt.

Letztere ist die eingeschlechtliche Fortpflanzung beispielsweise der Gallwespen. Durch deren befruchtete Eier entstehen Galläpfel, die neben Eisen(II)-sulfat, Wasser und Gummi arabicum (Saft aus Baumrinde) Bestandteile der sogenannten Eisengallustinte sind. Einfach Mischen reicht natürlich nicht, so gibt es von den MINT-Schülern genaue Vorgaben in Reihenfolge, Art und Weise der Arbeitsschritte. ln Zweiergruppen leiten die Schüler ihre Lehrkräfte Schritt für Schritt an, wie auf die bereits im dritten Jahrhundert vor Christus bekannte Art dokumentenechte Tinte hergestellt wurde.
Mit Hämmern werden so Galläpfel erst zerkleinert, dann im Mörser zu Pulver zerstoßen. Das Pulver mit Wasser kochen die Gruppen fünf Minuten lang auf, bevor sie dem Sud das Eisen(II)-sulfat und das Gummi arabicum hinzufügen. Nach Abkühlung wird noch Ascorbinsäure zur Konservierung benutzt. Die Lehrer staunen nicht schlecht über die Genauigkeit und Professionalität der eigentlich zu Belehrenden. Jede falsch sitzende Schutzbrille oder nicht korrekt angezogenen Handschuhe werden bemängelt und fachmännisch korrigiert.
"Natürlich haben wir uns gefreut, den Lehrern mal zu zeigen, was sie zu machen haben, und ich am allermeisten!", lacht Rojhat Topcu aus der achten Klasse. Gleich danach ist er aber wieder gefordert und weist an: "Bitte noch ein bisschen mehr destilliertes Wasser!". Genauigkeit ist Trumpf.
Bei der Ausführung geht es zwar nicht ums größtmögliche Tempo, aber ganz können die Lehrer den erwachenden Ehrgeiz dann doch nicht unterdrücken, so wird von der "schnelleren" Gruppe schon mal gefrotzelt: "Ja, anstrengen muss man sich schon!" Der Konter folgt prompt: "Unsere Tinte wird halt feiner und hochwertiger".

Hochzufrieden zeigen sich auch die Betreuerinnen der MINT-AG, Rina Dhingra-Müller und Britta Wagner: "Es ist schön für uns und die Kollegen, wieder in die Schülerrolle zu schlüpfen, das öffnet einfach die Augen für die Perspektive der Schüler und wie sie Dinge anders wahrnehmen. Wir sind oft in unseren Blickwinkeln gefangen und so profitieren beide Seiten von gegenseitigem Verständnis", ist Dhingra-Müller von der Win-Win-Situation überzeugt. Es gilt die alte Weisheit: Man lernt nie aus.

Das Thema hatten sich die Mentoren selbst rausgesucht und erarbeitet. In der AG ging es das Schuljahr über primär um Vögel. Das dadurch zwangsläufig aufkommende Fachgebiet Federn führte die wissbegierigen elf MINT-AGler dann zu deren Beschaffenheit und den Verwendungsmöglichkeiten. Die mit Federkiel schreibenden Mönche bildeten somit das letzte Puzzleteil als Überleitung. Und siehe da: Auf der Rückseite der Anleitung für Tinte finden sich auch Tipps zum Schnitzen von Rohrfedern. Denn normale Füller sollte man mit Eisengallustinte nicht benutzen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Nach Auftragen dunkelt die Tinte schnell und wird zu einem kräftigen Schwarz. Auch ein Gläschen für den Reporter bleibt übrig. Lehren, Lernen, Spaß und Nachhaltigkeit: Welch eine schöne Kombination.
Image
Image
Image

Drucken   E-Mail

Verwandte Artikel